Schütte, Christoph: »Verführerische Räume«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 2. 2014
GW: »Martin Kasper im Museum Künstlerkolonie« in: Kunstbulletin, April 2014
Dietrich Roeschmann, »Räume des Übergangs«, in: Badische Zeitung, 5. 4. 2014
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Räume des Übergangs Martin Kasper im Museum Biedermann in Donaueschingen. Es muss irgendwann in den Siebzigern gewesen sein, als die Betreiber der Donaueschinger Museumslichtspiele beschlossen, die alten Sitzreihen durch Neuware zu ersetzen. Statt der knarrenden Bänke, auf denen schon Wehrmachtssoldaten UFA-Stars wie Marika Rökk hinterhergeschmachtet hatten, sprossen nun auf einmal rot-orange Polsterskulpturen aus dem Boden, die entfernt an Blüten fleischfressender Pflanzen erinnerten. Ihr zeitgeistiges Pop-Design wirkte wie ein Statement in der Kinoprovinz: Endlich war auch hier die Nachkriegszeit vorbei. Die zweite Modernisierung – den Wechsel vom Zelluloid zum digitalen Kino – schafften die Museumslichtspiele dann jedoch nicht mehr. 2006 wurde der Betrieb eingestellt. Der klassizistische Bau, 1841 von der örtlichen Räume des Übergangs Martin Kasper im Museum Biedermann in Donaueschingen. Es muss irgendwann in den Siebzigern gewesen sein, als die Betreiber der Donaueschinger Museumslichtspiele beschlossen, die alten Sitzreihen durch Neuware zu ersetzen. Statt der knarrenden Bänke, auf denen schon Wehrmachtssoldaten UFA-Stars wie Marika Rökk hinterhergeschmachtet hatten, sprossen nun auf einmal rot-orange Polsterskulpturen aus dem Boden, die entfernt an Blüten fleischfressender Pflanzen erinnerten. Ihr zeitgeistiges Pop-Design wirkte wie ein Statement in der Kinoprovinz: Endlich war auch hier die Nachkriegszeit vorbei. Die zweite Modernisierung – den Wechsel vom Zelluloid zum digitalen Kino – schafften die Museumslichtspiele dann jedoch nicht mehr. 2006 wurde der Betrieb eingestellt. Der klassizistische Bau, 1841 von der örtlichen Museumsgesellschaft errichtet, fiel in einen Dornröschenschlaf. Als der Freiburger Maler Martin Kasper das Haus ein Jahr später auf Einladung der neuen Eigentümerin betrat, war das Mobiliar größtenteils demontiert. Die Kunstsammlerin und Unternehmerin Margit Biedermann hatte die Immobilie erworben, um sie zum Museum für ihre Sammlung umzubauen. Der Schaukasten, in dem früher Installation mit Kinosesseln und dem Bild „Ballhaus“, die Kino-Neustarts angekündigt wurden, lehnte achtlos zwischen abgestoßenen Türrahmen an der Wand. Der Bodenbelag war herausgerissen, und im verwaisten Kinosaal staubten die poppigen Polstersessel vor sich hin wie vergessene Requisiten aus Nicolas Meyers Apokalypse-Klassiker "The Day After". Ein perfekter Ort für Martin Kasper. Seit langem interessiert sich der 51-jährige Maler für Räume des Übergangs – als Orte im Stand-by-Modus zwischen Erinnerung und Erwartung, aber auch als Architekturen von Zwischen-Räumen. Immer wieder malt er Foyers und Wartesäle, Lobbys, Flure, Eingangshallen. Räume also, deren wesentliche Funktion darin besteht, andere Räume miteinander zu verbinden. Konfrontation des Realen und des Gemalten Auch die beiden Lichtspiel-Interieurs "Kino" und "Demnächst", die derzeit im Zentrum einer kleinen Einzelschau von Martin Kasper im Museum Biedermann stehen, verharren in diesem Schwebezustand. Sie zeigen Ansichten aus dem Foyer und dem Vorführsaal des stillgelegten Kinos und wirken in ihrer klaren Komposition und ihrer matten, gedämpften Farbigkeit wie unwirkliche Erinnerungsbilder aus einer fernen Vergangenheit. Beide Raumansichten beherrscht auffallend je ein zentral gesetztes Rechteck, das mal als schwarze Anschlagtafel, mal als weiße Kinoleinwand erscheint, sich zugleich aber als Verweis auf Kasimir Malewitschs ultimative Reduktion der Malerei im schwarzen oder weißen Quadrat verstehen lässt. Im historischen Vakuum von Kaspers Räumen, in denen die Zeit still zu stehen scheint, mutieren diese Leerstellen zu Projektionsflächen einer Malerei, die in der bildhaften Rekonstruktion erinnerter Orte ihren Möglichkeitsraum zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion vermisst. Dass zur Möblierung der Schau eigens die alten Retro-Pop-Kinosessel aus dem Keller geholt wurden, die hier auch auf einer der Leinwände zu sehen sind, mag da im ersten Moment etwas irritieren. Tatsächlich dient diese Inszenierung jedoch nicht der Beglaubigung des gemalten Motivs, sondern schärft auf überraschende Weise den Blick für Kaspers Interesse an der direkten Konfrontation des realen und gemalten Raumes, in der das suggestive und theoretische Potenzial seiner Malerei gleichermaßen sichtbar wird. Eine ähnlich beziehungsreiche, aber weit umfassendere Rauminszenierung seiner Bilder ist derzeit übrigens auch auf der Mathildenhöhe in Darmstadt zu sehen. Der Titel dieser Soloschau könnte auch für seine Donaueschinger Malereiinstallation gelten: "Echokammer".
Dietrich Roeschmann
Dietrich Roeschmann, »Martin Kasper«, in: Artline Kunstmagazin, April 2014
Simon, Stefan: »Kaspers malerische Schwebezustände«, in: Südkurier, 6. 5. 2014
Emmanuel Brassat: »Martin Kasper«, artpress April/2011, S. 29
Matthias Weiß: »Mutter aller Genres-neuer Auftrieb für das Portrait«, in: Kunstzeitung, 5/2009, S. 1
Richard Sourgnes: »Fabert de face et de profil«, Richard Sourgnes. 7 Hebdo, 9. 3. 2008.
Eva Hanel, Die Welt, 27. 10. 2007
Brassat, Emmanuel: »Martin Kasper, Peintre du Tribunal», in: lacritique.org, 11. 4. 2007
Dagen, Philippe: »Martin Kasper, Galerie Eric Mircher«, in: Le Monde, 18. 11. 2006
Grigorieva, Natalia: »Martin Kasper, Peintures d‘Allemagne«, in: paris-art.com 4. 11. 2006
Müller, Hans-Joachim: »Das Rätsel der Zahl Siebzehn«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. 3. 2005
Roeschmann, Dietrich: »Flashback im Kunstverein: Malerei aus der Echokammer der Erinnerung«, in: Regioartline, 8. 3. 2005
Benz, Marion: »Von Menschen und Räumen‹, in: Basler Zeitung«, 25. 9. 2003
Baer-Bogenschütz, Dorothee: »Erzähler unter sich‹, in: Kunstzeitung«, 8/2002, S. 10
Marzahn, Alexander: »Statt Selbstbehauptung waltet die Bestimmtheit«, in: Basler Zeitung, 25./26. 5. 2002, S. 25
Krumpel, Doris: »Immer wieder kunstsalonfähig‹, in: Der Standart«, Wien 2. 7. 2002. S. 25
Engler, Martin: »Architekturdestillate«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 10. 1998, S. 42
Van Lil, Kira: »Das letzte Bild ist noch nicht gemalt«, in: art, 6. 6. 2002, S. 89
Bauermeister, Volker: »Drei und die Farbe«, Hübsch, Kasper, Wehmer in Emmendingen, in: Badische Zeitung, 6. 12. 2001
Menasse, Eva: »So löst sich der Mensch auf, Die Ausstellung Abbild im Grazer Joanneum«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.10. 2001, S. 39
Beil, Ralf: Martin Kasper in der Galerie Guillaume Daeppen, in: Kunstbulletin, Oktober 1996
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Martin Kasper in der Galerie Guillaume Daeppen
Trotz aller Medienkritik, aller Digitalisierung und Instrumentalisierung der Photographie misstraut man derzeit in der Kunst vor allem der Malerei als scheinbar ausgelaugter Kulturform. Einer, der dieses Misstrauens arbeitet, ist Martin Kasper. Den Freiburger Maler, Jahrgang 1962, reizt wieder einen "neuen Akademismus der Cibachromes", rauschende Multimedialität und entwaffnende Materialschlachten, gerade die Angreifbarkeit, die Blösse und – in seinem Fall spröde – Sinnlichkeit der Leinwandmalerei.
Monadisch lagern die wuchtigen Industriekolosse zwischen Wassergrünblau und Himmels-grau. Langgestreckte Gebäude in distanzierter Totale, weisslich oder ockerfarben, gespiegelt in unbewegt glatten Stauseen und trotz des kleinen Bildformats von mitunter monumentaler Grösse. Nur manchmal schiessen betonierte Uferböschungen diagonal in den Bildraum: Kanalbecken im Perspektivsog, begleitet von gestutztem Grün. Martin Kaspers jüngste Bildreihe – gemalt in dünnen Farbschichten verhaltener Zwischentöne auf grober bräunlicher Leinwand – konzentriert sich fast ausschliesslich auf rigide Wasserkraftwerks-architektur in strenger Frontalität. Ein konzeptueller Ansatz liegt dem jungen Künstler gleichwohl fern. Es geht ihm weder um ein systematisches Erfassen von Industrielandschaft in malerischer Becher-Nachfolge noch um Michael Bachs objektivierende, quasi photo-graphische Umsetzung von Architekturrealität in Öl. Auch wenn Kasper ebenfalls nach Kameranotizen – "Rohphotos" – arbeitet: Jenseits von sachlicher Stimmigkeit und enzyklo- pädischer Dokumentation malt er, pendelnd zwischen Schärfe und Unschärfe, atmospärische Realitätskonzentrate, bei aller Lakonie subjektive Stimmungsbilder.
Es ist wohl kein Zufall, dass sich Martin Kasper ausgerechnet mit Wasserkraftwerken malerisch auseinandersetzt. Die trokenen, nur sparsam mit geschmeidigerer Tempera angereicherten Leimfarben Kaspers materialisieren geradezu die Kargheit und Verschlossenheit dieser Gebäuderiegel. Von schlummernder Kraft und energetischer Dichte, sind es ambivalente Orte im Spannungsfeld zwischen Industrie, Technik und Natur: Grenz-gegenden, zugleich Niemandslandschaften, Orte der Einsamkeit und Verlassenheit – Chiffren eines Weltgefühls machtvoll ohnmächtiger Vereinzelung.
Nur auf den ersten Blick mag überraschen, dass Martin Kasper, Maler der Menschenleere an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, sich für Edgar Degas, den Figurenmaler des 19. Jahrshunderts, begeistert. Seine besten Werke tragen eine Fremdheit und ein Geheimnis in sich wie die rätselhaften Porträts des grossen Franzosen.
Ralf Beil
Herbert M. Hurka: "Nicht bewohnbar, Martin Kaspers Raummodelle", in: Ästhetik & Kommunikation, Heft 168, 46. Jahrgang, 2015
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Herbert M. Hurka
Nicht bewohnbar Martin Kaspers Raummodelle
Es geht immer noch weiter – und doch auch nicht. Stets ist am anderen Raumende eine offene Tür, ein Durchgang, manchmal eine lichte Glasfläche. In jedem Fall setzt sich der aktuell sichtbare Raum fort. Das zumindest ist eins der zentralen Konstruktionsprinzipien, nach denen Martin Kasper seine Innenräume malt. Das Motiv weist eine bemerkenswerte Parallele zu Kafkas Bauplänen auf. Deuleuze/ Guattari heben hervor, dass in Kafkas Architekturen alle Räume mit einer Hintertür versehen sind. (1) Als gäbe es einen Ausweg. Wie dort sind auch auf Kaspers Gemälden die Ausgänge keine Durchlässe, die in die Freiheit zu führen versprächen. Wenn es weiter geht, dann wie gehabt. Was sich jenseits des konkretisierten Raums ausbreiten mag, ist nicht dazu angetan, Neugier zu wecken. Varianten, Erweiterungen in numero – mehr lässt sich nicht erwarten, denn die Räumlichkeit, die als Hauptsegment dieses architektonischen Kontinuums in Szene gesetzt wird, ist so detailliert und erschöpfend ausgeführt, dass qualitativ Neues ausgeschlossen erscheint. Nach dem Gesetz selbstähnlicher Reproduktion überraschte es nicht, wenn eins dem anderen folgte in einer unendlichen Verschachtelung aus Fluren, Aufenthaltsplätzen, Treppenhäusern, Wartebuchten, Türen, Sälen und spiegelnden Glasfronten. Boden und Decke fungieren als konstituierende Raummarker, deren Begrenzungen auf einen Fluchtpunkt zulaufen. Dieses System aus Flächen und Fluchtlinien klickt sich in die zentralperspektivisch gebahnten Sehkonventionen ein. Es ist unvermeidlich, dass synästhetische Reflexe den Bewegungsapparat affizieren und die Distanz zwischen Bild und Betrachtendem aufs äußerste minimieren. Die kalkuliert gesetzten 3D-Schemata ziehen den Blick in den Bildraum. Doch der Schein trügt, denn Kaspers Raumdarstellungen basieren allein auf signifikanten Merkmalen empirischer Architektur unter der Grundbedingung, dass Statik und Perspektive stimmen. Dementsprechend handelt es um keine Abbildungen realer Räume, sondern die Umsetzung eines subjektiven Raumkonzepts – aus Linienwerken, Flächen, Lichteffekten komponierte Architekturphantasien. Den optischen Schlüsselreiz liefert die Zentralperspektive. Sie ist das Ordnungsprinzip, über das Kasper seinen Bildaufbau organisiert. Ohne die Absicht, kunst- und kulturgeschichtliche Referenzen zu adressieren, ist sie eine zwar fundamentale, in ihrer ästhetischen Wertigkeit aber nicht mehr als eine formale Vorentscheidung – etwa in der Art, wie ein Roman aus der Ich-Perspektive erzählt ist – um spezifische Wirkungen zu erzielen. Suggestivkraft, Orientierung, Stille, aber auch Irritation. Um Räume zu visualisieren, ist die Anwendung der Zentralperspektive heute zu einer sekundären Methode ohne exklusiven Authentizitätsanspruch geworden. Während es den Renaissancekünstlern bei der Wiederentdeckung der in der griechischen Antike vorformulierten Zentralperspektive um eine wirklichkeitsnahe, authentische Raumdarstellung zu tun war, um die wissenschaftliche Perfektionierung eines realistischen Prinzips, initiiert ein zeitgenössischer Künstler ein Reloading-Programm, das in einer weit ausholenden historischen Spirale sich in eine längst dekonstruierte Sehwelt einklinkt. Mit der Schulung des perspektivischen Sehens etablierte sich eine neue Kulturtechnik, die zu dekonstruieren erst dem Film zufiel. Dass und wie dieser mediengeschichtliche Umbruch von der Malerei ratifiziert wurde, lässt sich an Surrealismus und Kubismus ablesen. Seither ist bewusst, dass die rezeptive Monokausalität, die der Zentralperspektive zugeschrieben war, kein wahrnehmungspsychologisches Naturgesetz ist. Als Medium, das jeden Perspektivwechsel realisieren kann, wird die Filmkamera mittlerweile von den unabsehbaren Möglichkeiten digitaler Raumsimulakren ergänzt, überholt, abgelöst. Animationsräume wie jenes Pandora, das der „Avatar“-Regisseur James Cameron sich von prominenten Programmierern designen ließ, bringen die Raumerfahrungen jener User-Massen auf den Punkt, denen die game-worlds zweite Heimat sind. Das Spektrum des visuellen Raumes erstreckt sich vom einfachen Sehen, d.h, mit bloßem, analog-registrierendem, nicht-upgegradetem Auge über die die Sinne überfordernde technische Akzeleration bis hin zu den phantastischsten Digitalsimulakren – Ende offen. Der Künstler selbst beschreibt seine Arbeiten als „Portraits von Räumen“. Und nicht anders als ein Portraitmaler geht er vor, wenn er von einem Foto ausgehend während des Malaktes den Charakter einer Architektur freizulegen sucht. An einer Stelle wird etwas hinzufügt, an einer anderen gekappt, Fluchtlinien, Winkel und Proportionen manipuliert. Der Malprozess wird zum Erkunden, Ergründen, Ausforschen eines zunächst verborgenen, dann immer freigiebiger sich offenbarenden Objekts. Mag dies alles a priori mitschwingen in dem ursprünglich ausgewählten Raum, danach auch auf der Fotografie, so objektiviert es sich doch erst unter dem analytischen Zugriff und dem in die Malhand sich übertragenden Blick. Will man Kaspers Raummodelle auf einen prägnanten Ausdruck verkürzen, so läge Marc Augés Begriff des Nicht-Ortes sicher am nächsten. Vorerst zumindest. Die folgende Aufzählung der „fotografischen Stilleben“ und „Darstellungen einer verlassenen Welt“, als die Emanuel Brassat in seinem klugen Katalog-Text Kaspers Bilder apostrophiert, sollte einen hinlänglichen Überblick über die Beschaffenheit jener Orte geben: „ . . . die leeren Zookäfige, die sich selber überlassenen Pavillons der Biennale von Venedig, Gebäudehallen, Wartesäle, Flure, Metrotreppen und –bahnsteige, ein Kontrollraum, Gebäudeinterieurs, eine Bildergalerie, ein Krankenhausflur, ein Wasserbecken oder eine im Bau befindliche Ausstellungshalle.“ (2) Menschen, das ist leicht einzusehen, lenken nur ab. Zu Augés Nicht-Orten, Non-Lieus, „ . . . gehören die für den beschleunigten Verkehr von Personen und Gütern erforderlichen Einrichtungen (Schnellstraßen, Autobahnkreuze, Flughäfen) ebenso wie die Verkehrsmittel selbst oder die großen Einkaufszentren oder die Durchgangslager, in denen man die Flüchtlinge kaserniert.“ (3) Diese Paradigmen der Unbehaustheit könnten durchaus das Substrat von Kaspers Architekturerfahrung bilden. Prinzipiell jedoch gilt auch dafür Augés Einschränkung, dass Nicht-Orte „ . . . niemals in reiner Gestalt“ existieren.“ (4) Genau den Aspekt betont Kasper besonders, wenn er Räume portraitiert, in denen Geschichte sedimentiert ist, oder die künstlich implementierte Male von Wohnlichkeit aufweisen wie gepolsterte Sitzgruppen oder naturhaft anmutende Holzelemente. Gleichzeitig steigert er die aus der alltäglichen Umwelt abgezogenen Motive ins Monumentale. Assoziationen an Geborgenheit, Wohnlichkeit, Nestwärme, Behaglichkeit, an alles also, was irgend an Privatheit erinnern könnte, wird eliminiert. „In einem Palast gibt es keinen Winkel für die Intimität“. Dieses Baudelaire-Zitat dürft den Sachverhalt genau treffen. (5) Die anthropologische Affinität des Menschen zum Haus ist unbestreitbar. Ähnlich, nur komplexer als Werkzeuge, sind gebaute Häuser dingliche Fortsetzungen des biologisch insuffizienten Körpers. Diese Affinität transgrediert ins Innere des Subjekts. Mit der Internalisierung des Hauses als psychischer Matrize wird laut Freud das Haus zum Symbol für das Subjekt schlechthin. Gemäß dieser Einsicht träumt, ordnet und objektiviert das Subjekt seine innere Organisation über die Metapher des Hauses. Vom Keller als Unbewusstes bis in die Beletage als Bewusstsein vermittelt die Architektur der Mehrstöckigkeit das eingängigste Bild. Außenwelt als Innenwelt als Außenwelt als Innenwelt. In diesen Besetzungen ist auch der Grund zu sehen, dass leere Gebäude als negative Räume deliriert werden, Vakua, die sich sogleich als Projektionsflächen für die Ableitung eines nie unter Kontrolle zu bringenden psychischen Überschusses in Beschlag nehmen lassen. Auf dieser Ebene unterscheidet sich das dunkle Spukschloss in keiner Weise von den grell ausgeleuchteten Hotelfluchten in Kubricks Horrorklassiker „Shining“. In solchen Räumen sind die Abdrücke vergangenen Lebens so aufdringlich präsent, dass sie die endogenen Bildwelten aktivieren. Nietzsches bekannter Aphorismus vom Abgrund, der in uns zurückblickt, bringt dieses Widerspiel auf den Punkt. Dies sind Voraussetzungen, unter denen es auffällt, dass Kaspers Bilder keine derartigen Reflexe auslösen. Sie lassen sich nicht als Projektionsflächen missbrauchen. Es sind, wie der Künstler es sich selbst zum Programm gemacht hat, Raumportraits. Nicht mehr aber auch nicht weniger, denn was sich dem Blick präsentiert, verursacht kein Mangelgefühl, das danach verlangte, durch abstruse Phantasien kompensiert zu werden. Fasziniert davon, wie diese Räume „funktionieren“, bleibt der Blick darauf konzentriert, wie sie konstruiert sind, wie ihre Architektur gemeint ist – ebenso darauf, wie die Lineaturen, Flächen, Winkel und Hell-Dunkel-Werte zueinander in Beziehung stehen, und ob die Komposition der komplexen Linienwerke nicht in eine autonome – konstruktivistische – Graphik des Nichtfigurativen umswitcht. Diese Potentiale halten den Blick auf der Oberfläche fest und verhindern triviale Projektionen des Unheimlichen, jenes buchstäblich Un-Heimlichen, Nicht-Heimlichen, als das Freud die Etymologie des Adjektivs „unheimlich“ klärt. Gerade das offen zutage Liegende ist das Bestverdrängte, das das das Subjekt so beunruhigt. Marc Augé versteht seine Studie über die Nicht-Orte als „Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit“. Sollte an Kaspers Raumkonzeption doch etwas unheimlich anmuten, so wäre es der Verweis auf den Menschen als einer Leerstelle, die zum Signum urbaner Unbewohnbarkeit und Isolation wird.
Literatur: 1) Vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur, aus dem Französischen übersetzt von Burkhart Krober, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1976, S. 101 2) Emmanuel Brassat: Multiple Räume, übersetzt aus dem Französischen von Matin und Volker Kasper, in: Martin Kasper: raumerinnern, Ausstellungskatalog, Verlag Stadt Villingen-Schwennigen, 2007, S. 8f 3) Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, aus dem Französischen von Michael Bischof, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1994, S. 44 4) Ebd. S. 925. 5) Charles Baudelaire, zit. in: Gaston Bachelard: Poetik des Raumes, übersetzt von Kurt Leonhard, Ullstein Verlag, Frankfurt/M – Berlin – Wien, 1975, S. 62
Roswitha Frey: "Collagen mit verteilten Rollen", in Badische Zeitung, 24.03.2016
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Roswitha Frey, Kunstverein Weil, mit Ben Hübsch